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Zum Beitrag „Zu wenig oder zu viel Pflegepersonal“ und „Zur Lage der Pflege“ im Diskussionsforum (PA 10/2003):

 Die Pflege arbeitet täglich daran, ihre Überflüssigkeit unter Beweis zu stellen

 

In seinem Beitrag hat Herr Möller die Rahmenbedingungen und die Perspektive der professionellen Pflege analysiert.

Ich möchte darstellen, wie es meiner Meinung nach zu diesen Zuständen kommen konnte und wie die Berufspraktiker darauf reagieren.

Die heute herrschenden Arbeitsbedingungen in der Pflege wären noch vor 10 Jahren undenkbar gewesen.

Erinnern wir uns an die 90er Jahre: Damals stritt der DBfK (zunächst erfolgreich) für eine moderne Personalbedarfsermittlung. Die Durchsetzung der PPR war damals  ein Meilenstein der Berufspolitik, dessen sich der DBfK auf der Feier seines 100jährigen Bestehens mit Recht gerühmt hat. Über das ruhmlose Ende der PPR 1996 (euphemistisch Aussetzung genannt) wurde anlässlich der Feier nicht geredet. Im Jahr 2003 sind nicht nur die damals entstandenen Planstellen in der Pflege längst wieder abgebaut. Im Gegensatz zum ärztlichen Dienst, der es bundesweit geschafft hat, die Planstellen den gestiegenen Fallzahlen in Krankenhäusern anzupassen, werden Arbeitsplätze der Pflege kontinuierlich gestrichen, mittlerweile unter den Stand von 1996. Was für eine idyllische Vorstellung, sich über bedarfsgerechte Stellenpläne gestritten zu haben! Heute ist die Finanzierbarkeit der eigentliche Maßstab für die Zahl der MitarbeiterInnen.

Dementsprechend wird in den Stellenplänen der Pflege vielfach nur noch der Mangel verwaltet, es werden die schlimmsten Löcher gestopft. Im Stationsleitungskreis des Krankenshauses, in dem ich tätig bin, ähneln die morgendlichen Besprechungen mit der Pflegedirektion immer öfter einem ritualisierten Jammerkreis mit anschließendem Wettbewerb: Welche Abteilung kann ihre Krankheitsausfälle dramatisch genug darstellen, damit aus dem Budgetrest noch eine Aushilfe „materialisiert“ wird?

Immer lauter werden die Diskussionen, patientenorientierte Pflegesysteme wie Bereichs- und Zimmerpflege wieder abzuschaffen, da bei funktioneller Pflege Hilfskräfte effektiver eingesetzt werden können.

Dabei wird in Leitbildern, Aufgabenbeschreibungen u.ä. noch immer das Ideal der Ganzheitlichkeit hochgehalten. Kann dieser Anspruch noch weiter verfolgt werden, wenn vielfach noch nicht einmal mehr das Ziel des sauberen, satten, sicheren Patienten zu verwirklichen ist?

Fast alle Berufsverbände wollen die Pflege im Sinne einer Professionalisierung weiterentwickeln. Entwickelt sie sich aber derzeit nicht in die entgegengesetzte Richtung?

T. Bals fasste als Kennzeichen von Professionalisierung folgende Punkte zusammen:Theoretisch-wissenschaftliche Ausbildung, spezialisiertes Wissensoziale Dienstgesinnung/Berufsethik/KollektivitätsorientierungBerufsautonomie/(Handlungs-) Autonomie

Die Akademisierung der Pflege schreitet voran. Der Transfer des Spezialwissens an die „Pflegebasis“ ist schwierig, die Pflegeforschung läuft dem Bedarf hinterher. Vermutlich kann sie in Deutschland die verlorenen 90 Jahre seit dem ersten, schnell eingestellten Pflegestudiengang gar nicht mehr einholen.

Es ist heute nicht möglich, einen Pflegestandard in einem Pflegewissenschaftlichen Institut auf Evidenzbasierung überprüfen zu lassen, da bisher nur ein Bruchteil erforscht ist. Gleichzeitig aber brechen die Arbeitsbedingungen der Praktiker auf dramatische Art und Weise weg. So geraten die Akademiker in den befürchteten Elfenbeinturm, ohne es zu wollen.

Die Kollektivitätsorientierung in unserer Berufsgruppe ist nur als jämmerlich zu bezeichnen. Die Kolleginnen und Kollegen sind nur zu etwa 5-7% in Berufsverbänden organisiert. (Entsprechend  wenig autonom und handlungsunfähig sind auch die ca. 30  verschiedenen Berufsverbände und –organisationen)

An den politischen Belangen der eigenen Berufsgruppe herrscht Desinteresse vor. Daraus lässt sich schließen, dass die meisten Pflegenden auch nicht bereit sind, für das Schicksal  der Pflege Verantwortung zu übernehmen.

Als symptomatisch dafür empfinde ich folgende Episode: Im Sommer dieses Jahres informierte ich im Stationsleitungskreis über die Aktion „Pflege 5 vor 12“ des DPR und bot an, die Thesenpapiere zu organisieren, damit sie auf den Stationen um 11:55 Uhr diskutiert werden könnten. Die Reaktion einer Kollegin war: „Um fünf vor zwölf können wir nicht, da müssen wir Essen austeilen:“

Zum neuen Gesundheits- und Krankenpflegegesetz wurde übrigens in dieser Runde auch nur der „Verlust“ des Schwesterntitels besprochen. Das ist wohl kaum die Basis, auf der ein umfassende Berufsethik entstehen kann.

Auf einem Seminar mit Krankenhausleitungen, an dem ich vor kurzem teilnahm, äußerte ein Geschäftsführer, das Ziel von Personalentwicklung müsse sein, den Mitarbeitern begreiflich zu machen, dass sie in einem gewinnorientierten Unternehmen arbeiten. Wirtschaftlichkeit ist offensichtlich existentiell, ethische Orientierung eher Luxus.

Wie wird denn die –unbestreitbar gesellschaftlich wichtige- Pflege in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Beim ZDF gibt es offensichtlich eine Redaktion, die an dem Thema sehr interessiert ist. In letzter Zeit wurden dort viele Bericht über  ambulante Pflege, Sterbebegleitung und „Pflegenotstand“ ausgestrahlt.

Die dort dargestellten KollegInnen litten mit den PatientInnen und BewohnerInnen unter der Finanzierungsmisere, sie gaben sich passiv ihrem schweren Los hin und kümmerten sich in der Freizeit um Leistungen, die beispielsweise die Pflegeversicherung nicht finanziert. Sie taten das aus ihrem eigenen Anspruch an eine menschenwürdige Betreuung heraus, eine aus moralischer Sicht zu würdigende Einstellung.

In dieser Opferrolle gibt die Pflege aber keinesfalls das Bild eines selbstbewussten Verhandlungspartners für die Politik ab, schon gar nicht das einer Profession. Denn anscheinend sind doch viele ihrer Tätigkeiten mehr im Bereich des Ehrenamtes anzusiedeln (?).

Auf diese Art und Weise wird uns niemals die Öffentlichkeit in der Vertretung unserer Interessen um die Finanzierung von menschenwürdiger Pflege zur Seite springen. „Pflege ist nicht sexy“ sagte Christel Bienstein provokant auf dem DBfK-Jubiläum. Sie wird es auch nie werden und somit nie ein Thema der Medien-Gesellschaft. Die o.g. Dokumentationen laufen stets nachts und haben bei den Zuschauern bestenfalls Mitleid und die stereotype Äußerung „Ich könnte das ja nicht, aber gut dass es jemanden gibt, der das macht“ zur Folge.

Was hat nur die Pflege in Deutschland so klein gehalten, dass es so weit kommen konnte, dass die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen im neuen Finanzierungssystem, den G-DRGs, praktisch nicht vorkommt? Um die pflegerischen Maßnahmen adäquat abzubilden, sollen „Krücken“ wie pflegerelevante (medizinischen!) Nebendiagnosen dienen? Wohl kaum, viele von ihnen sind bei der Erstellung der DRG irrelevant. (Erinnern wir uns an dieser Stelle noch einmal seufzend der Zeiten, als noch in der Fachöffentlichkeit um Personalbedarfsermittlung gerungen wurde).

Die Antwort liegt auf der Hand: Da weder andere Berufsgruppen noch die Gesellschaft für Pflege verantwortlich sind, ist es wohl die Pflege selber.

Einen viel zu wenig beachteten Punkt in unserer beruflichen Geschichte stellt m.E. das Jahr 1967 dar. Damals führte der Krankenhausökonom Eichhorn die Begriffe „Grund- und Behandlungspflege“ ein. Sie sind bis heute fortgeschrieben worden, gehören zur „Fachsprache“ vieler Pflegender und fanden Niederschlag in der Pflegeversicherung. Wie aber definieren sich diese Begriffe, welche Qualität haben sie?

„Grundpflege“ ist laut Eichhorn einfach, anspruchslos und jederzeit unterlassbar oder unterbrechbar.

Die „Behandlungspflege“ dagegen ist anspruchsvoll, wichtig und medizinischen Zielsetzungen verpflichtet.

Diese Begriffsbestimmungen sind nie revidiert oder überarbeitet worden.

Die „unwichtige“ Grundpflege hat große Schnittmengen damit, was Pflege (meiner Meinung nach) überhaupt ausmacht. Sie ist patientennah, beinhaltet die Beziehungsaufnahme und –entwicklung, die Ressourcenförderung und komplementäre Konzepte wie Basale Stimulation®. Sie lässt sich aber schwer messen.

Die Behandlungspflege, der (im Sinne Eichhorns) höhere Priorität eingeräumt werden muss, bildet in erster Linie ärztliche Assistenztätigkeiten ab. Diesen Teil der Pflege kann man auch gut über medizinische Diagnosen darstellen.

Die normative Kraft der Sprache sollte nicht unterschätzt werden. Die KollegInnen, die im Bereich der Pflegeversicherung arbeiten, spüren die Ideen von Eichhorn, wenn ihre Tätigkeiten zwischen verschiedenen Kostenträgern aufgespaltet werden und für sie selbstverständlich menschliche Handlungen wie Gespräche mit Patienten oder die Förderung von Ressourcen nicht nur schlicht unfinanziert bleiben, sondern auch aus der Perspektive einer kostendeckenden  oder gewinnorientierten Arbeitsweise unerwünscht sein müssen.

Und auch die KollegInnen im Bereich der Krankenversicherung werden weiter dokumentieren, dass sie  am Patienten „Grundpflege im Bett“ verrichtet haben.

Unter dem extremen Kostendruck im Gesundheitswesen müssen nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht Schwerpunkte und Prioritäten gesetzt werden.

Warum sollte ein Ökonom Tätigkeiten fördern, die die betreffende Berufsgruppe selber als unwichtig und unterlassbar einstuft? Ist es nicht wichtiger, die Finanzierung der „Behandlungspflege“ zu sichern? Und werden die Assistenztätigkeiten in Arztpraxen nicht auch adäquat von Arzthelferinnen vollzogen? Warum sollte sich dann ein Krankenhaus überhaupt noch mit qualifizierter Pflege belasten?

Die Denkschrift „Pflege braucht Eliten“ hat  vor elf Jahren die Entwicklung der akademischen Pflege in Deutschland schlagartig vorangebracht. Heute jedoch fehlt die Denkschrift „Die Gesellschaft braucht Pflege und pflegerische Eliten“. Es wird sie niemand für uns schreiben. Wenn die Pflege es nicht schafft, von sich aus wahrgenommen zu werden und einen öffentlichen Diskurs über ihre Bedeutung auszulösen, werden wir auch noch fünf nach zwölf Essen austeilen und nur das Tablettsystem hört unser Jammern. 

 

 

 

 
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